Potenzialfreie Messtechnik erhöht die Messgenauigkeit. Stimuli- oder Messgeräte – isolierte Kanäle vermeiden Masseprobleme. Wir stellen Ihnen verschiedene Beispiele vor.
Viele schätzen die potenzialfreie Messtechnik von Multimetern. Nicht nur Handgeräte, sondern auch Tisch-Multimeter besitzen Eingänge ohne Bezug zur Erdmasse. Die Ausgänge der meisten Labornetzteile sind ebenfalls potentialgetrennt. Anders sieht das bei digitalen Speicheroszilloskopen, Digitizern [1], Timer/Counter und Funktionsgeneratoren aus.
Allerdings sollte man bei diesen Gerätegruppen nicht auf die Vorteile der potenzialfreien Messtechnik verzichten. Komponenten müssen versorgt und durch elektrische Stimulationen angeregt werden. Elektrische Größen am Prüfobjekt sind zu verifizieren. Hierbei treten oft Messfehler durch Erdmasseschleifen oder Störeinkopplungen durch falsche Masse-Anbindungen auf.
Kein Problem mit dem Massebezug
Zusätzlich besteht bei Messgeräten mit Erdmasse-Bezug die Gefahr eines versehentlichen Kurzschlusses. Solche Gefahren werden zwar durch den Einsatz von differenzieller Messtechnik vermindert, jedoch hat auch die differentielle Messtechnik einige Nachteile, die beim Einsatz potentialfreier Messtechnik, wie man sie beispielsweise von Multimetern kennt, deutlich reduziert oder sogar vermieden werden. Mit einem Multimeter den Spannungsabfall an einem Shunt zu messen ist eine durchaus übliche Methode.
Bild 2: Messung eines spannungsäquivalenten Stromsignals mit differentiellen Messeingängen
Gerade bei komplexeren Schaltungen kann dieses Signal mit einem Offset zur Erdmasse behaftet sein. Mit einem potenzialfreien Multimeter ist diese Messung kein Problem und man muss sich üblicherweise keine Gedanken über den Massebezug oder andere Fehlerquellen machen. Soll ein solcher Spannungsabfall nun mit einem digitalen Speicheroszilloskop aufgezeichnet werden, steht man üblicherweise vor dem Problem, dass die meisten am Markt verfügbaren Speicheroszilloskope nicht potentialfrei sind. Die Messmasse ist bei diesen Geräten mit der Erdmasse verbunden, wodurch das Signal nur mit einer differentiellen Messung aufgezeichnet werden kann (Bild 2).
Gerade bei den digitalen Speicheroszilloskopen sucht man die potenzialfreie Messtechnik meist vergeblich. Zwar gibt es augenscheinlich Alternativen wie den Batteriebetrieb, jedoch ist auch das unter genauer Betrachtung keine Option. Hierfür gibt es mehrere Gründe.
- Beim Batteriebetrieb mehrkanaliger Geräte ist zwar die Messmasse von der Erde getrennt, allerdings haben alle Kanäle die selbe Masse. Somit ist zwar mit einem Kanal die Aufzeichnung des Stromsignales am Mess-Shunt möglich, die restlichen Kanäle sind nun zumeist jedoch nicht mehr zu gebrauchen.
- Aus der Betrachtung der elektrischen Sicherheit ist der isolierte Betrieb eines gewöhnlichen Oszilloskops nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen zulässig. Da die Masse des Gerätes üblicherweise nicht gegen Berührung geschützt ist, darf diese Masse nur auf Spannungen gelegt werden, die als berührungsungefährlich gelten.
Der maximale Gesamtmessfehler berechnet sich aus der Summe von Quantisierungsfehler, Verstärkungsfehler (DC-Gain-Accuracy), Offsetfehler (Offset-Error) sowie des Gleichtakt-Fehlers (CMRR-Error).
Differentielle und potenzialfreie Messung im Vergleich
Bleiben wir zunächst beim einfachen Beispiel der Strommessung an einem Shunt und der Aufzeichnung des Signalverlaufs mit digitalen Speicheroszilloskopen oder Digitizern. Bei Geräten ohne potentialfreie Eingänge ist zumindest ein differentieller Eingang, oder die Verwendung eines Differenztastkopfes erforderlich.
Bild 3: Messung eines spannungsäquivalenten Stromsignals mit einem potentialgetrennten Digitizer
Bild 3 zeigt die Messaufgabe in einem Prinzip-Schaltbild. Um das zu messende Signal bei einer Amplitude von 1 Volt mit einem Offset von 20 V gegenüber Erdmasse aufzeichnen zu können, ist bei differentieller Messung ein Messbereich größer der Summe von Offset und Signalamplitude – hier Offset 20 V + Signal 1 V = 21 V zu wählen. Allerdings birgt das Fehlerquellen:
- Bei einer exemplarischen Auflösung von 14 Bit kann ein Mess-Signal von 1 V im 25-V-Messbereich mit 655 Stufen quantisiert werden. Dies entspricht einer Quantisierung von circa 1,5 mV pro LSB. Der Quantisierungsfehler ergibt sich hier zu 0,75 mV.
- Bei einer Verstärkungs-Genauigkeit von 0,15 Prozent ergibt sich für ein Mess-Signal von 1 V ein Verstärkungsfehler von etwa 1,5 mV.
- Der Offsetfehler berechnet sich mit einem Anteil von 0,2 Prozent des Messbereichs (25 V) zu 50 mV.
Die Summe aus Verstärkungs- und Offsetfehler beträgt hier also 51,5 mV. Zu diesen Fehlern addiert sich noch der Gleichtaktfehler, der später behandelt wird. Im Folgenden sollen Verstärkungs-, Quantisierungs- und Offsetfehler bei potentialfreier Messung am praktischen Beispiel berechnet werden. Bei einem Digitizer mit potentialgetrennten Eingängen kann als Messbereich für das zu messende Signal bei einer Amplitude von 1 V der entsprechende 1-V-Bereich gewählt werden.
Hier können folgende Fehlerquellen auftreten:
- Bei ebenfalls 14 Bit folgt eine Auflösung von vollen 16384 LSB pro Volt (61 µV pro Bit). Die effektive Auflösung ist somit um den Faktor 25 höher als zuvor. Der Quantisierungsfehler ergibt sich hier zu 31 µV.
- Der Verstärkungsfehler bei einer Genauigkeit von 0,15 Prozent und einem Messbereich von 1 V beträgt etwa 1,5 mV.
- Der Offsetfehler berechnet sich bei einer Genauigkeit von 0,2 Prozent des Messbereichs (1 V) zu 2 mV.
Die Summe von Verstärkungs- und Offsetfehler beträgt hier nur circa 3,5 mV. Der Vergleich mit dem Beispiel der differentiellen Messung zeigt, dass die Messgenauigkeit in diesem Beispiel mit potenzialfreier Messtechnik deutlich gesteigert werden kann.
Gleichtaktunterdrückung sowie Gleichtakt- und Gesamtfehler
Einen weiteren, nicht unerheblichen Einfluss auf die Genauigkeit des zu messenden Signals hat die Gleichtaktunterdrückung [2] (CMRR) des verwendeten Messgerätes. Der Gleichtaktfehler entsteht durch die Einkopplung eines Teils des Gleichtaktsignals in den Messpfad des Messgerätes. Die Gleichtaktunterdrückung ist üblicherweise frequenzabhängig und sinkt mit zunehmender Frequenz. Der Messfehler steigt also mit ansteigender Frequenz. Bei potenzialfreien Geräten ist die Gleichtaktunterdrückung architekturbedingt deutlich höher (größer 100 dB bei Gleichspannung und typ. 80 bis 90 dB bei 50 Hz) und damit der Messfehler deutlich geringer als bei Geräten mit differentiellen Messeingängen (typ. 40 bis 50 dB).
Für die differenzielle Messung ergibt sich bei einem Gleichtaktsignal von 20 V und einem CMRR von 40 dB (1/100) ein Gleichtaktfehler von 200 mV. Der Gesamtmessfehler beträgt 200 mV + 51,5 mV = ca. 250 mV oder 25 Prozent des Messsignals. Die potenzialfreie Messtechnik weist hier eine deutlich höhere Genauigkeit auf. Mit einer Gleichtaktunterdrückung von 80 dB (1/10000) erzeugt das Gleichtaktsignal von 20 V hier lediglich einen Fehler von 2 mV. Der Gesamtfehler liegt somit bei 3,5 mv + 2 mV = 5,5 mV oder 0,55 Prozent des Messsignals und ist damit um ca. den Faktor 50 niedriger als mit differentieller Messtechnik. Das Beispiel verdeutlicht die weit höhere Genauigkeit der Messung des stromäquivalenten Spannungssignals am Shunt bei der potenzialfreien Messtechnik.
Wie sich Störeinflüsse und Masseschleife vermeiden
Neben geringeren Fehlern durch eine höhere Gleichtaktunterdrückung, lassen sich durch potenzialfreie Mess- und Stimulus-Geräte viele weitere Störeinflüsse vermeiden. Insbesondere bei Umgebungen mit starken Störeinwirkungen, kleinen Messsignalen, langen Verbindungsleitungen und Hochstromanwendungen bietet die potenzialfreie Messtechnik weitere Vorteile. Erdungspunkte (PE) des Versorgungsnetzes können durchaus unterschiedliche Potenziale aufweisen.
Am wahrscheinlichsten sind solche Potenzialdifferenzen der Erdmasse dann, wenn die beiden gekoppelten Systeme an unterschiedlichen Versorgungsstellen (beispielsweise unterschiedliche Absicherungen oder gar Gebäude) betrieben werden. Bei gewöhnlicher erdmassebezogener Messtechnik wird eine Potenzialdifferenz der Massen (UMasse, parasitär; AC und DC) dem eigentlich interessanten Mess-Signal (Usrc, hier generiert durch Prüfling) aufaddiert (Bild 5). Die Messung (Umeas, beispielsweise durch ein Oszilloskop) kann somit von der Realität abweichen.
Bild 5: Grafische Darstellung der Auswirkung von Masseschleifen
Durch den Einsatz von potenzialfreier Messtechnik und einer gezielten Erdung des Messaufbaus an einer definierten Stelle können Störeinflüsse durch Masseschleifen unterbunden werden. Eine gezielte Erdung an einem festgelegten Punkt sollte bei isolierten Systemen erfolgen, da hierdurch Störströme aus der potenzialgetrennten Spannungs- oder Hilfsversorgung des Mess- oder Stimulus-Gerätes eliminiert werden. Zwar sind Störungen dieser Art bei Auswahl einer geeigneten galvanisch getrennten Spannungserzeugung durch den Messgeräte-Hersteller zu vernachlässigen, doch stellt die definierte Erdung an einem Punkt eine zusätzliche Sicherheit dar, die genutzt werden sollte.
In jedem Fall gilt: Sollte bereits der Prüfling eine Erdung aufweisen, so ist der Einsatz einer potentialfreien Messtechnik für präzise Messungen obligatorisch. Selbiges gilt bei Messaufbauten mit langen Zuleitungen oder hohen Strömen. In Bild 5 wird deutlich, dass bei Einsatz eines Stimulus-Gerätes (Usrc), die Potenzialfreiheit gleiche Vorteile bietet. Wird der Prüfling (Umeas) gespeist oder mit einem Signal beaufschlagt, so erhöht sich im oben dargestellten Fall die Spannung für den Prüfling Umeas, wenn das Stimulus-Gerät eine Verbindung zu Erdmasse (PE) aufweist. Ist der Prüfling geerdet, so hilft hier ein potenzialfreies Stimulus-Gerät (Arbitrary Function Generator [3]).
Die wichtigsten Begriffe kurz erklärt
[1] Digitizer: Digitizer sind Geräte zur Signalaufzeichnung mit internem Speicher ähnlich den digitalen Speicheroszilloskopen, jedoch ohne integrierten Bildschirm. Die Signalauswertung erfolgt am PC über eine schnelle Schnittstelle wie PCI, PXI oder PXIe. Als weitere Bussysteme zur Datenübertragung werden auch ältere Bussysteme wie VME oder VXI unterstützt.
[2] Gleichtaktunterdrückung (engl.: Common Mode Rejection Ratio (CMRR)): Die Gleichtaktunterdrückung eines differentiellen oder potenzialfreien Messgerätes gibt die Größe des Einflusses einer parasitären Gleichtaktspannung (vgl. UInput in Bild 1) an. Je kleiner die Gleichtaktunterdrückung, desto größer ist die Auswirkung der Gleichtaktspannung auf das Messergebnis. Im idealen Fall wirkt sich die Gleichtaktspannung nicht auf den eigentlichen Messwert (vgl. UOut in Bild 1) aus.
[3] Arbitrary Function Generator: Arbiträre Funktionsgeneratoren sind Geräte zur Erzeugung beliebiger Kurvenformen. Sie besitzen die Grundfunktionalität eines Funktionsgenerators, können jedoch zudem beliebige, vom Anwender frei programmierbare Kurvenformen (beispielsweise aus CSV-Datei) ausgeben. Zudem sind oft beliebig frei definierbare Sequenzen aus unterschiedlichsten Kurvenformen möglich.